Bei den
Australien Open 2013 kommt es im Achtelfinale zur Begegnung zwischen dem
Weltranglistenführenden und Titelverteidiger Novak Djokovic und
Stanislas Wawrinka. Djokovic ist der klare Favorit und zeigte sich in
den Runden zuvor in sehr guter Form. Auch Wawrinka fand gut ins Turnier
und musste bis zum Achtelfinale ebenfalls keinen einzigen Satz abgeben.
Für Wawrinka alles andere denn eine Selbstverständlichkeit, da er
häufig unkonstant spielt und sich als "Marathon-Mann" einen
Namen gemacht hat. Vor der Partie zeigt sich der Westschweizer denn auch
selbstbewusst und sagt "er sei bereit".
Und wie er
bereit ist. Wawrinka beginnt hervorragend. Er ist derjenige, der die
Ballwechsel diktiert und oft mit Gewinnschlägen abschliesst. Djokovic
ist fast permanent in der Defensive. Nach 25 Minuten ist der erste Satz
vorbei und geht mit 6:1 an Wawrinka - ein Paukenschlag. Auch in Satz 2 hat
der Romand lange Zeit
Vorteile und führt mit Break 5:2. Beim Stande von 5:3 kann er zu
einer 2:0 Satzführung aufschlagen. Doch dann unterlaufen ihm Fehler,
welche er zuvor nicht begangen hat. Djokovic kann verkürzen und kommt
seinerseits immer besser ins Spiel. Nach hartem Kampf gelingt ihm der
Satzausgleich. Der dritte Satz verläuft ziemlich ausgeglichen, ein
Break entscheidet zu Gunsten des Serben.
Wer glaubt,
dass die Partie nun vorentschieden ist und Djokovic in Satz 4 leichtes
Spiel haben wird, sieht sich gründlich getäuscht. Von Resignation aufgrund des Spielverlaufs und einem Nachlassen ist bei Wawrinka nichts
zu sehen. Er wirkt nach wie vor fokussiert und ruhig. Beide Akteure
spielen grossartiges Tennis und liefern sich einen packenden
Schlagabtausch. Der Satz wird im Tie-Break entschieden und dort ist es
Wawrinka, der offensiver spielt, die Punkte sucht und für sein Risiko
auch belohnt wird. Der Satzausgleich ist geschafft, der fünfte Satz
muss die Entscheidung bringen.
Es wird ein
epischer Entscheidungssatz und es zeigt sich endgültig: Wenn Wawrinka sein volles
Potential ausschöpfen kann, hat er die Möglichkeiten, um auch die ganz
grossen der Zunft schlagen zu können. In der Vergangenheit stand sich
Wawrinka jedoch häufig selbst im Weg. So ruhig er ausserhalb des
Platzes auftritt, so impulsiv ist er zuweilen auf dem Tennisplatz.
Seinem Unmut lässt er manchmal freien Lauf. Manchmal bleibt es bei
verbalen Unmutsäusserungen, gelegentlich entlädt sich die Wut und
Frustration durch die Zerstörung des Rackets. Öfters verliert er
komplett den Faden und fällt in ein tiefes Leistungsloch. Von den spielerischen
Möglichkeiten gehört Wawrinka seit etlichen Jahren zur absoluten
Spitze, doch im mentalen Bereich gäbe es einiges an
Verbesserungspotential...
Doch bei den
Australien Open scheint ein anderer Wawrinka auf dem Platz zu stehen.
Ein Spieler, der an sich glaubt, der ruhig und fokussiert auftritt, mit sich im Reinen ist. An diesem Januar-Sonntag ist Wawrinka auch
im fünften Satz auf Augenhöhe mit der Weltnummer 1 und fordert dieser
alles ab. Letztlich behält Djokovic nach über fünfstündiger
Spielzeit mit 12:10 die Oberhand und lässt sich erschöpft vom
begeisterten Publikum feiern. Doch auch der Unterlegene hat in
vielfacher Weise gewonnen: Die Sympathien der Zuschauer, welche ihn mit
stehenden Ovationen verabschieden, den tiefen Respekt seines Gegners und
- wohl am wichtigsten für die weitere Zukunft - die Gewissheit, die
ganz Grossen bei einem Grand-Slam-Turnier schlagen zu können.
Djokovic
sagte an der Pressekonferenz: "Es war mit Sicherheit eines der
interessantesten und aufregendsten Spiele meiner bisherigen
Karriere". und weiter: "Stan hatte den besseren Start, viele
Breakbälle. Er war der aggressivere Spieler. Ich muss ihm grössten
Respekt zollen. Es tut mir leid, dass jemand verlieren musste, denn er hätte
den Sieg ebenso verdient."
Verständlich,
dass sich Wawrinka seinerseits enttäuscht zeigte. Auf seinem
Twitter-Account liess er seine Fans wissen: "Das tut weh, sehr
weh." Auf der andern Seite hob er jedoch das Positive hervor und
dass er von dieser Partie sehr viel mitnehmen könne: "Vor allem
von der mentalen Seite her war es mein bestes Spiel. Wie ich gekämpft
habe, ruhig geblieben bin, mir Chancen erarbeitet habe."
Félicitation
Stan zu einer grandiosen Leistung!