Roger Federer gilt für
viele Tennisexperten als bester Spieler aller Zeiten. Auch wenn solche
generationenübergreifende Vergleiche schwierig und letztlich nur eine
Spielerei sind, gehört Federer zweifellos zu den grössten Spielern des
Sports. Über Jahre hat er das Tennis dominiert und eine Vielzahl an
Rekorden aufgestellt. Bis zum heutigen Tag hat er 17 Grand-Slam-Titel
gewonnen - so viele wie kein anderer Spieler. Seit seinem ersten Erfolg
in Wimbledon im Jahre 2003 hatte Federer bei Grand-Slam-Turnieren 36-mal
in Folge mindestens das Viertelfinale erreicht - eine unglaubliche
Serie. Völlig unerwartet riss diese Serie diesen Sommer, als Federer in
Wimbledon sensationell in Runde 2 dem Ukrainer Sergej Stachovski
unterlag. In einer englischen Zeitung, dem Guardian, war danach zu
lesen: "Der grösste Schock in der Geschichte der
Männer-Grand-Slams."
Bis dahin war
Federers Saison eher enttäuschend verlaufen, doch nach dem Gewinn des
Vorbereitungsturniers in Halle zählte er zum engsten Favoritenkreis.
Jede
Serie geht einmal zu Ende, in jeder Sportkarriere gibt es Phasen, in
denen es nicht rund läuft. War es ein einmaliger Betriebsunfall? - Mit
grosser Spannung erwartete man deshalb die Auftritte Federers bei den US
Open. In den ersten drei Runden hatte er überhaupt keine Probleme. Ohne
Satzverlust qualifizierte er sich für das Achtelfinale und insbesondere
in Runde 3 zeigte er eine sehr starke Leistung. Federer zeigte sich denn
auch sehr zufrieden und sprach von "einem perfekten Match".
Zwei Tage später dann ein ganz anderes Bild. Im
Achtelfinale gegen Tommy Robredo war er ebenfalls haushoher Favorit und
führte im Head-to-Head gegen den Spanier mit 10:0. Was folgte, ist
bekannt: Federer fand nie zu seinem Rhythmus und verlor nach ganz
schwacher Leistung in drei Sätzen. Ein Debakel, das Fragen aufwirft...
Mangelt
es an Motivation? Befindet er sich in einem Formtief? Ist Federer über
seinen Zenit hinaus und kann nicht mehr mit der Spitze mithalten? Sollte
er besser zurücktreten? - Letzteres ist ganz schön anmassend, wenn
gewisse Leute so etwas beinahe schon fordern. Das ist ganz alleine
Federers Sache. Die anderen Fragen beantworten wir allesamt mit einem
NEIN!
Federer ist
auf dem Tennisplatz ein Virtuose, bei dem alles spielerisch leicht und
locker aussieht. Er ist ein kompletter Spieler mit herausragenden
Stärken und auch physisch absolut top. Doch Federer ist auch aus
mentaler Sicht ein herausragender Athlet. Erst dadurch wurde er zum
Seriensieger. Tommy Haas, mit Jahrgang 1978
drei Jahre älter als Federer und 2013 eine ganz starke Saison spielend,
sagte einmal treffend über ihn: Er sei ein "master der big
points". In den entscheidenden Phasen könne Federer einen Gang
höher schalten und sein bestes Tennis abrufen. Über Jahre hinweg haben
wir das immer wieder beobachten können. Doch von dieser Fähigkeit war im
Spiel gegen Robredo nichts zu sehen - im Gegenteil. Von 16 Breakchancen konnte er
gerade einmal 2 verwerten. Viele davon hatte er durch - für seine
Verhältnisse - ganz einfache Fehler vergeben. Die ersten drei Runden
zuvor haben deutlich
gezeigt, dass Federer in Form war, doch gegen Robredo konnte er sein
Potential nicht annähernd abrufen. Die Ursache dafür: Federer fehlt es
derzeit am nötigen Selbstvertrauen, Zweifel sind aufgekommen. Nach der
Niederlage nahm denn Federer auch kein Blatt vor den Mund und urteilte
ungewohnt hart, aber treffend:
"Er habe sich heute selbst zerstört".
Wenn
der Start in die Partie nicht wunschgemäss verläuft, scheint es
derzeit so, als Federer sehr rasch verunsichert ist und nicht zu seinem
Spiel findet. Das ist doch sehr bemerkenswert, dass selbst ein Spieler
wie Federer mit all seinen Qualitäten zu zweifeln beginnt und das
Vertrauen in seine Schläge verliert.
Die
Verunsicherung zeigte sich auch unmittelbar nach Wimbledon. Federer
griff zu einem neuen Schlägermodell mit grösserem Schlägerkopf und
schob zwei zusätzliche Sandplatzturniere ein. Die Massnahme mitten in
der Saison zeigte jedoch nicht den gewünschten Erfolg und so kehrte
Federer auf die Hartplatzsaison zu seinem altbewährten Racket
zurück.
Vor
den US Open zeigte sich Federer wieder zuversichtlich und sagte in einem
Interview, dass er "brutal hart trainiert habe". In der Partie
gegen Robredo konnte man jedoch den Eindruck gewinnen, dass Federer zwar
körperlich bereit war, jedoch nicht im Kopf! Da stellt sich die Frage,
ob Federer und sein Umfeld diesem Bereich die nötige Aufmerksamkeit geschenkt
haben. Ein
Novak Djokovic sagte in einem Platzinterview ausdrücklich, dass er
"physisch und mental sich intensiv vorbereitet habe".
Wie
zentral der Faktor "Selbstvertrauen" ist, wissen wohl die
meisten Tennisspieler aus eigener Erfahrung, ganz unabhängig davon, auf
welchem Niveau jemand spielt. Djokovic sagte im Frühjahr 2011 kurz nach dem
Gewinn der Australian Open sogar:
"Es geht nur um das
Selbstvertrauen. Das ist alles, deshalb spiele ich gegenwärtig so
gut."
Für Federer wird dies
die entscheidende Aufgabe sein: Es gilt das Vertrauen ins eigene Spiel
wieder zu finden, aktiv etwas dafür zu tun, um auf die Erfolgsspur
zurückkehren zu können. Der grosse Unterschied zwischen dem
erfolgreichen Federer und dem jetzigen liegt im vorhandenen bzw.
fehlenden Selbstvertrauen.
Ist man zu dieser
Erkenntnis gelangt, stellt sich die Frage, wie man das Vertrauen in die
eigenen Fähigkeiten wieder finden kann? - Zugegebenermassen nicht die
einfachste aller Fragen, wenn man in einigen wenigen Zeilen eine Antwort
geben möchte. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten um das Selbstvertrauen
zu stärken, doch letztlich ist es ein sehr individueller Weg. An dieser
Stelle skizzieren wir eine Massnahme, welche - aus unserer Sicht - für
Federer in seiner jetzigen Situation naheliegend wäre. Seine Karriere
ist ja äusserst gut dokumentiert. Selbst für die Öffentlichkeit gibt
es bspw. auf YouTube jederzeit die Möglichkeit Videosequenzen
aufzurufen, welche einen magistralen Federer zeigen. So könnte er
selbst Videos von vergangenen Matches betrachten, in welchen er sein
bestes Tennis spielt, in den entscheidenden Phasen noch zulegen kann
oder Bilder, die zeigen, wie er nach mässigem Start geduldig bleibt und
mit Vertrauen in seine Fähigkeiten den Weg in die Partie findet und
diese noch drehen kann. Dabei gilt es möglichst tief in diese
Situationen einzutauchen und die Emotionen von einst wieder zu erleben.
Für den Verstand wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass es keinen
objektiven Grund gibt, warum ich nicht mehr zu solchen Leistungen fähig
sein sollte: "Ich habe die technischen und physischen
Voraussetzungen, um ganz oben mitzuspielen. Es ist nur eine Frage des
Vertrauens in diese Fähigkeiten, damit ich diese auf dem Platz abrufen
kann."
In der
Wettkampfvorbereitung hat man also die Möglichkeit aktiv etwas für das
Selbstvertrauen zu tun. Wie sieht es im Wettkampf selbst aus? - Die
zentrale Botschaft lautet da, den Körper die Schläge unbehindert
ausführen zu lassen! Gerade nach
Fehlern oder einem mässigen Start, meldet sich oft der Verstand zu Wort
mit Gedanken und Selbstgesprächen, die häufig nicht gerade
leistungsförderlich ist. Je ruhiger der Verstand, umso besser - auch
dies lässt sich trainieren...