Timea Bacsinszky galt einst als Wunderkind, als Nachfolgerin einer
Martina Hingis. Nach äusserst erfolgreichen Juniorenzeiten, wechselte
sie mit 14 Jahren ins Profigeschäft und liess auch dort bald aufhorchen. Mit
17 Jahren qualifizierte sie sich bei den Zurich Open fürs Viertelfinale
nach zwei Siegen über Top-Ten-Spielerinnen. Der Aufstieg in die
Weltspitze schien vorprogrammiert...
Doch dann folgten schwierige Zeiten: Disput mit dem nationalen Verband,
körperliche Probleme, doch viel schlimmer, Timea gehörte zu den Tenniskindern, mit
einem dominanten Vater im Hintergrund. Tenniskinder, welchen vermittelt
wird, dass der sportliche Erfolg so gut wie alles ist und sich
dementsprechend fast nur über sportliche Ergebnisse definieren. Keine
guten Voraussetzungen, um locker aufspielen zu können...
Leider wahrlich kein Einzelfall.
Viele Talente werden von ihren Eltern oder von Trainern unter grossen
Druck gesetzt bestimmte Ergebnisse erzielen zu "müssen", anstatt den
Fokus auf die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen zu legen. Doch
dieses "Ergebnisdenken" ist nicht nur im Leistungssport fast schon
allgegenwärtig, sondern auch im Breitensport die Regel. Ganz allgemein
ist es typisch für unsere Konsumgesellschaft mit sehr kurzfristiger
Optik und der Einstellung "nur das Ergebnis zählt". Wohltuend deshalb,
wenn eine Legende wie André Agassi einst sagte:
"Gewinnen hatte für mich nie damit zu tun, meinen Gegner zu besiegen,
sondern damit, die eigenen Grenzen auszuloten."
Nachdem Bacsinszky
unter die Top 50 der Weltrangliste vorgestossen war, der grosse
Durchbruch in der Folge jedoch ausblieb, versank sie in den Tiefen der
Weltrangliste. Im Frühjahr 2013 schien die Tenniskarriere beendet, als
sie ein Praktikum in der Gastronomie absolvierte. Erst der Erhalt einer
Wild Card für die Qualifikation der French Open, welche für sie aus
heiterem Himmel kam, sorgte für ein Umdenken und den Entschluss, es
nochmals richtig zu versuchen. Die Ergebnisse blieben jedoch vorerst
bescheiden. Ende des Jahres figurierte sie auf Position 285 - ein
Ranking, das nur die Teilnahme an kleineren Turnieren erlaubte, weit weg
vom Glamour. Bacsinszky stellte sich in dieser Zeit ein Umfeld zusammen,
das ein ganz wichtiger Eckpfeiler für die Trendwende werden sollte. Ein
Team, das sie bedingungslos unterstützt, sie jedoch auch selbstbewusst
darüber sagt, dass sie "die Chefin" sei - welch ein Unterschied
zum einst fremdbestimmten Teenager.
Tennisspielerinnen und -spieler sind
auf dem Platz meistens "Einzelkämpfer" und gelten häufig als
ausgesprochene Individualisten. Doch hinter jeder erfolgreichen Karriere
steht ein unterstützendes Umfeld. Gerade in Zeiten, wenn Selbstzweifel
aufkommen, kann ein intaktes Umfeld, das einen an die eigenen Stärken
erinnert und Halt gibt, vieles bewirken und neue Kraft verleihen,
anstatt den Druck noch weiter aufzubauen.
Im Schatten des neuen "Wunderkindes"
Belinda Bencic, welche die Zeitungsspalten füllte und einen fulminanten
Start in ihre Profikarriere hinlegte, arbeitete sich Bacsinszky
still und leise zurück, kletterte die Rangliste empor, schlug im Herbst
2014 gar Maria Sharapova und stand am Ende Jahres wieder in den Top 50.
Nur wenige nahmen Notiz davon - die Schlagzeilen gehörten anderen.
Doch dies sollte sich bald ändern...
Timea Bacsinszky
ist eine der Spielerinnen der Tour in den ersten Monaten des Tennisjahrs
2015 und ist
die Aufsteigerin schlechthin. Zu Beginn des Jahres wird sie in China
erst von der Weltranglisten-Dritten Simona Halep im Finale gestoppt, in
Mexiko gewinnt sie sowohl in Acapulco, als auch in Monterrey. 15 Partien
in Folge bleibt Timea dabei ungeschlagen. Erst im Viertelfinale von
Indian Wells reisst die Siegesserie, jedoch gegen niemand Geringere als
die Weltranglisten-Erste Serena Williams.
Wenn man Timea Bacsinszky
auf dem Platz früher und heute (nach dem Neuanlauf) vergleicht, hat sich
sehr vieles verändert: Sie ist kompletter und athletischer geworden;
spielt variabler, mit mehr Überzeugung und Leidenschaft. Beni Linder,
Konditionstrainer von Swiss Tennis, mit dem sie regelmässig
zusammenarbeitet, nennt einen weiteren, sehr entscheidenden Grund für
den Höhenflug:
"Jetzt
übt sie ihren Beruf professionell aus, vorher war es ein Kampf gegen
andere Leute und vor allem sich selbst. Bei Timea steckt momentan so
viel Freude dahinter. Das macht es erst möglich, so viel Energie
freizusetzen."
"Freude am Tennis" - vielleicht das wichtigste Element, warum es Timea
derzeit so gut läuft. War Tennis früher ein "Muss", hat sie ganz für
sich selbst entschieden auf die Tour zurückzukehren. Sie hat die Freude
am Spiel (wieder)entdeckt. Und wir wissen es wohl aus eigener Erfahrung: Wenn
wir etwas mit Freude tun, fällt auch das Ergebnis besser aus.
Intrinsische Motivation, wie es die Psychologie formuliert, ist ein Schlüsselelement
für eine gute Leistung.
April 2015:
Eine Woche vor der Fed-Cup-Partie gegen Polen um den Aufstieg in
die Weltgruppe 1 ist Timea Bacsinszky Gast im Sportpanorama. Eine charmante,
selbstbewusste junge Frau, welche da auf der Couch Platz nimmt und den
Eindruck vermittelt, dass sie mit sich im Reinen ist und sich selbst
gefunden hat. Rückblickend auf die schwierigen Zeiten sagt sie heute:
"Ich hätte auch kaputt gehen können damals. Weit entfernt war ich davon
nicht."
Fed-Cup in Polen: Im
Rampenlicht steht in erster Linie Martina Hingis, welche nach 17! Jahren
ihr Comeback im Fed-Cup-Team der CH gibt und eigentlich als
Doppelspezialistin aufgeboten wurde. Doch Heinz Günthardt, Coach des
Teams, hat andere Pläne: Hingis wird neben Bacsinszky als zweite
Einzelspielerin eingesetzt (nach dem Verzicht von Belinda Bencic),
obwohl sie auf der Tour "nur" Doppel spielt und ihr letztes offizielles
Einzel im Jahre 2007 gespielt hat. Hingis schlägt sich äusserst
beachtlich, doch sportlich gesehen ist Timea Bacsinszky die grosse Figur
im CH-Team. Sie gewinnt ihre beiden Einzel, darunter mit 6:1 und 6:1 gegen
die Top-10 Spielerin Agnieszka Radwanska und führt im Doppel Regie an
der Seite von Debütantin Viktorija Golubic. Letztlich gewinnen die
beiden Schweizerinnen mit 9:7 in einem dramatischen Entscheidungssatz
und sorgen dafür, dass die Schweiz nach langen Jahren wieder in die
Weltgruppe der Top 8 Nationen zurückkehren wird.
Angesprochen auf ihre weiteren
sportlichen Ziele sagt die inzwischen 25-jährige, dass sie keine festen
Ziele habe und sich keine Gedanken über ein bestimmtes Ranking mache.
Danach ergänzt sie jedoch:
"Doch, ich habe schon ein Ziel: Ich
will weiter so viel Spass am Tennis haben wie jetzt, mit den richtigen
Leuten an meiner Seite."