Australian
Open 2012: Herrenkonkurrenz
Wie zuletzt bei den
US Open stehen auch zu Beginn des Jahres 2012 die sog. "Big Four"
geschlossen im Halbfinale. Im Viertelfinale hatte Rafael Nadal hart zu
kämpfen gegen den Tschechen Tomas Berdych, ansonsten waren die Nummern
1-4 des Turniers in ihren Partien ungefährdet.
1. Halbfinale:
Rafael Nadal vs. Roger Federer
Federer startet
bärenstark in die Partie und spielt den Spanier in den ersten Minuten
an die Wand. Doch irgendwie findet Nadal - wie so oft in den Partien
gegen Federer - zurück in den Satz, der schliesslich im Tie-Break
entschieden wird und den Federer für sich entscheiden kann. In Satz 2
verliert Federer die Kontrolle über die Partie und dann völlig den Rhythmus, nachdem es zu
einer etwas längeren Unterbrechung aufgrund des Feuerwerks zum
Australia Day gekommen ist. Die Sätze 3 und 4 verlaufen sehr
ausgeglichen und wieder einmal ist es schlussendlich Nadal, der die
entscheidenden Punkte für sich verbuchen und sich somit für das Finale
qualifizieren kann. Nadal wirkte entschlossener und siegeshungriger, bei
Federer hatte man das Gefühl, dass er gegen Nadal einmal mehr nicht mit
dem Vertrauen spielte wie in den Partien zuvor gegen andere Gegner und
manchmal überhastet agierte.
2.
Halbfinale: Novak Djokovic vs. Andy Murray
Anlässlich der US
Open hatten wir geschrieben, dass Andy Murray in mentaler Hinsicht der
klar schwächste des Quartetts sei. Interessant deshalb zu beobachten,
ob sich seit den Monaten nach den US Open etwas verändert hat und
Murray sich verbessern konnte....
...und siehe da:
Murray, der seit anfangs Jahr mit der Tennislegende Ivan Lendl
zusammenarbeitet, wirkt in Melbourne selbstbewusster und fokussierter.
Er verstrickt sich nicht mehr so oft in negative Selbstgespräche, das
Lamentieren ist weniger zu beobachten. In Satz 1 gegen Djokovic wird er
aber gewissermassen rückfällig und lässt sich von diversen Dingen
ablenken und so verliert er den Satz dementsprechend deutlich. Ab Satz 2
ist jedoch scheinbar ein neuer Murray auf dem Platz. Das Niveau der
Partie steigt zusehends. Murray schafft den Satzausgleich und kann auch
den dritten Satz, der 88 Minuten!!! dauert, für sich entscheiden. Bei
den entscheidenden Punkten spielt er dabei grossartiges Tennis und er
wirkt in dieser Phase wesentlich frischer als Djokovic. Irgendwie kann
Djokovic danach aber eine neue Energiequelle anzapfen. Von Resignation
aufgrund des 1:2 Satzrückstandes keine Spur, vielmehr spielt er
plötzlich noch mit höherer Intensität. Satz 4 ist eine ganz klare
Angelegenheit für den Serben und auch in Satz 5 scheint er klar die
Oberhand zu behalten, nachdem er ein frühes Break schafft und danach
seine Führung auf 5:2 ausbauen kann. Imponierend jedoch, wie Murray
weiterhin alles versucht und die letzten Kräfte mobilisiert. Wieder
wendet sich das Blatt, Murray schafft tatsächlich den Ausgleich und
scheint nun die besseren Karten zu haben. Beim Stande von 5:5 kommt er zu zwei
Breakchancen, kann diese aber nicht nutzen und anschliessend realisiert
Djokovic das entscheidende Break.
Trotz der denkbar
knappen Niederlage: Murray scheint auf dem richtigen - mentalen - Weg zu
sein und sich weiterentwickelt zu haben.
Diese Einschätzung teilt er auch selbst. So sprach er auf der
Pressekonferenz nach der Partie trotz Enttäuschung davon, dass er nun
ein anderer Spieler mit einer anderen Einstellung und stolz darauf sei,
wie er gekämpft habe:
"But a
different player, a different attitude to this time last year.
Yeah, I'm proud of the way I fought."
Interessant ist, dass
diese Veränderung auch seinem Gegner aufgefallen ist. So sagte
Djokovic, dass Murray selbstbewusster aufgetreten sei als früher und
seine Chancen genützt hätte:
"He was
more confident on the court. He was
taking
his chances."
Finale: Novak Djokovic vs.
Rafael Nadal
...und das Finale
sollte zu einem epischen Spiel werden, das in die Grand-Slam-Geschichte
eingehen wird. Mit 5h und 53min war es das längste Herren-Finale
überhaupt (ok, mitverantwortlich dafür ist auch der Umstand, dass die
beiden Finalisten nicht gerade zu den Schnellspielern gehören und sich
zwischen den Ballwechseln enorm viel Zeit lassen....).
Vor dem Finale
stellte sich die Frage, ob sich Djokovic genügend von seinem
kräftezehrenden Halbfinale erholen konnte, da er einen Tag weniger
Pause hatte als Nadal. Vor dem Finale sagte Djokovic, dass er dafür
vielleicht einen psychologischen Vorteil haben würde, da er die letzten
6 Partien gegen seinen Finalgegner alle gewonnen hatte.
"I know that
I maybe have a mental edge because I've won six finals the five or six
times we played in 2011 and I've had lots of success against him."
Das Spiel begann
schleppend mit vielen Fehlern auf beiden Seiten. Nadal gewann Satz 1 mit
7:5, Djokovic seinerseits Satz 2 mit 6:4. In Satz 3 wurde Djokovic
wesentlich stärker und dominierte das Geschehen klar. Mit 6:2 gewann er
den dritten Satz und auch im vierten Satz hatte er Vorteile. Doch
nachdem er diverse Breakchancen nicht nutzen konnte und im Tie-Break
einen 5:3 Vorsprung preis gab, musste ein 5. Satz über den Ausgang
entscheiden.
Nadal nahm das
Momentum aus dem gewonnenen vierten Satz mit und wirkte wesentlich
frischer. Beim Stande von 3:2 realisierte er das vermeintlich
entscheidende Break. Bei 4:2 und 30:15 unterlief ihm dann aber ein
haarsträubender Fehler, indem er das weit offene Feld verfehlte und den
Ball ins Seitenaus setzte. Gleich danach zwei weitere unerzwungene
Fehler, Re-Break Djokovic und Nadal geht kopfschüttelnd zur Bank. Welch
eine Chance, die er da ausgelassen hatte...
Während dieses
Seitenwechsels scheint Djokovic einmal mehr in diesem Turnier eine neue
Energiequelle gefunden zu haben. Plötzlich ist er wieder voll da und
beginnt zunehmend die Ballwechsel zu dominieren. Beim Stande von 5:5
gelingt ihm ein weiteres Break und die "Tennisgötter"
beschwörend, kann er sein nächstes Aufschlagsspiel zum Matchgewinn
durchbringen - ein dramatisches Spiel mit zwei Spielern, welche sich
alles abverlangten und bei der anschliessenden Siegerehrung stehend K.O.
waren....
Djokovics Worte
danach:
“So I tried
mentally to hang in there, to hold my composure, to hold my emotions. And,
you know, even when I was 4-2 down I still pushed myself up to the limit."
(Er habe versucht
sich mental reinzuhängen, seine Lockerheit zu behalten und seine
Emotionen unter Kontrolle zu halten. Auch beim Stande von 4:2 im
fünften Satz habe er sich bis an die Grenze gepusht)
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