Australian Open 2016
Die Australian Open 2016 waren ein Turnier mit vielen bewegenden
Momenten und interessanten Geschichten. Bei den Damen setzte sich
überraschend Angelique Kerber durch, welche in einem packenden und
intensiven Finale die grosse Überraschung schuf und Topfavoritin Serena
Williams bezwingen konnte. Kerber war schon immer eine herausragende
Kämpferin, gute Athletin und gilt als eine der trainingsfleissigsten
Spielerinnen, doch insbesondere bei den GS-Turnieren agierte sie öfters
zu verkrampft und blieb unter den Erwartungen. Nun bei den Australien
Open zeigte sie sich nach holprigem Start (in Runde 1 stand sie vor dem
Aus und musste gegen die Japanerin Misaki Doi gar einen Matchball abwehren) in der
Folge viel gelöster, positiver und mit mehr Vertrauen in ihre
Fähigkeiten. Kerber ist vom spielerischen Potential her gesehen
sicherlich schwächer einzustufen, als manche ihrer Berufskolleginnen.
Ihr Erfolg zeigt einmal mehr, wie bedeutend mentale Faktoren sein
können. Wenn es im Kopf stimmt, dann ist sehr vieles möglich...
Serena Williams merkte dann auch an
der Pressekonferenz anerkennend an:
"She (Anm. Angelique
Kerber) had an attitude that I think a lot of people can learn
from: just to always stay positive and to never give up."
Im Herren-Tableau blieb die
Überraschung aus. Novak Djokovic wurde seiner Favoritenrolle
letztendlich gerecht, nachdem er im Achtelfinale einen schwachen Tag
eingezogen hatte und nach einer Fehlerorgie sich doch noch knapp gegen
Gilles Simon durchsetzen konnte. In der Folge spielte Djokovic auf fast
schon gewohnt hohem Niveau, während die Konkurrenz die Konstanz
vermissen liess. Irgendwie gewinnt man auch den Eindruck, dass die
anderen Topspieler sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man taktisch
gegen Djokovic spielen muss und nach neuen Wegen suchen. Dies ist zum
einen sicherlich positiv (wobei mit einem zerbrochenen Kopf nur schwer
Tennis zu spielen ist...), auf der andern Seite sollte nicht nur im "aussen"
nach einer Lösung gesucht werden. Mit der richtigen Taktik kann man sehr
viel erreichen, doch es gilt Djokovic auch auf mentaler Ebene auf
Augenhöhe zu
begegnen! Im mentalen Bereich ist der Weltranglistenerste seinen
Hauptkonkurrenten einen Schritt voraus. Andy Murray war im Finale
viel zu unruhig und hektisch, um die Wende noch schaffen zu können, auch
wenn er taktisch viele gute Ansätze zeigte und in den Sätzen 2 und 3 das
Spiel mehrheitlich diktierte. Es fehlte die innere Ruhe. An dieser
Stelle sei jedoch auch erwähnt, dass Murray ganz schwierige Tage in
Melbourne durchleben musste. Seine Ehefrau hochschwanger zu Hause in
London und sein Stiefvater Nigel Sears (Trainer von Ana Ivanovic) brach
während der 3. Rundenpartie seiner Spielerin auf der Tribüne mit
Herzproblemen zusammen und musste notfallmässig ins Spital gebracht
werden. Unter diesen Umständen dennoch das Finale zu erreichen, ist
ebenfalls eine Meisterleistung! Und die gute Nachricht: Nigel Sears geht
es wieder besser und konnte die Heimreise antreten.
Dann galt es von Lleyton Hewitt
Abschied zu nehmen, der in Melbourne sein letztes Profiturnier bestritt.
Hewitt wurde 2001 mit gerade mal 20 Jahren die jüngste Nummer 1 der
Tennisgeschichte (bei den Herren). In jungen Jahren selbst bei seinen
australischen Landsleuten unbeliebt, entwickelte er sich im Laufe der
Jahre zu einer geschätzten Persönlichkeit. Sein Rücktritt war das
dominierende Thema an den ersten Tagen des Turniers.
Im Damendoppel harmonierten Sania Mirza
und Martina Hingis einmal mehr prächtig und sprühten vor
Spielfreude. Seit mittlerweile 36 Partien ist das Duo ungeschlagen und
holte seinen 3. GS-Erfolg in Serie. Mirza/Hingis ergänzen sich auf dem
Tenniscourt nahezu perfekt und verstehen sich auch zwischenmenschlich
ausgezeichnet, wie die beiden immer wieder betonen.
Für die bewegendste und
faszinierendste Geschichte sorgte in unseren Augen jedoch
Shuai Zhang. Die 27-jährige Chinesin erreichte ihr bestes Ranking im
Juli 2014, als sie Position 30 in der Weltrangliste erreichte. Ihre
Bilanz bei den vier Grand-Slam-Turnieren zeigte indes ein deprimierendes
Bild. Im Jahre 2008 spielte sie zum ersten Mal bei einem der vier
grössten Turniere mit und schied bei den US Open in Runde 1 aus. Bis zu
den Australian Open 2016 hatte Shuai Zhang sich insgesamt 14-mal für ein
Haupttableau eines GS-Turniers qualifiziert. Die erschütternde Bilanz:
14-mal das Aus in der Startrunde...
Und nicht nur bei den GS-Turnieren
lief es nicht, das ganze Jahr 2015 war für Zhang eine einzige
Enttäuschung. In der Weltrangliste fiel sie Ende Oktober bis auf
Position 200 zurück. Gedanken an einen Rücktritt kamen auf.
Schliesslich entschied sie sich noch
einen letzten Versuch zu starten.
"I want try one more time, only
one more time."
Gegenüber ihren Eltern, welche sie
zuvor noch nie an ein Turnier begleitet hatten, sagte sie, dass sie nach
Australien kommen sollen, wenn sie ihre Tochter einmal live spielen
sehen möchten - vielleicht sei dies die letzte Gelegenheit.
"Before, my father never come
to watch I play. This is first time he travel with me. And also my mom.
So this is big-time for me. Because I think, oh, maybe this is last time
in Australia Open, so I wanted they coming to maybe see last match in
Melbourne. I want they come to see the last 20 years what I'm do. This
is my life already like 20 years. They never see. So I want they feeling
what I'm do."
(Shuai Zhang an der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Simona
Halep)
Aufgrund des Rückfalls im Ranking
musste Shuai Zhang in der Qualifikation antreten. Nach zwei
2-Satz-Siegen gewann sie in der 3. Qualifikationsrunde mit 8:6 im
Entscheidungssatz und qualifizierte sich somit in extremis für das
Haupttableau. Losglück sieht dann aber etwas anders aus - in Runde 1
wartete mit Simona Halep die Weltnummer 2. Immerhin jedoch das Privileg
auf dem grössten Court der Anlage einlaufen zu dürfen - vor
ausverkauften Rängen und unter den Augen ihrer Eltern.
Auf dem Papier die wohl einseitigste 1. Rundenpartie überhaupt. Mit Simona Halep eine
der Turnierfavoritinnen auf der einen Seite, mit Shuai Zhang auf der
anderen Seite eine Spielerin, welche während ihrer jahrelangen Karriere
noch nie eine Startrunde bei einem GS-Turnier überstehen konnte. An
diesem 18. Januar zeigte sich jedoch wieder einmal, dass im Sport so gut
wie alles möglich ist. Zhang spielte wie entfesselt, diktierte die
meisten Ballwechsel und ging schliesslich als Siegerin vom Platz...
Highlights
der Partie Simona Halep vs. Shuai Zhang
Emotionales Platzinterview mit Shuai
Zhang nach dem Erfolg über Simona Halep
Einmal in Fahrt gekommen und die
Niederlagenserie beendet, ging das Tennismärchen weiter. In Runde 2
gewann Zhang gegen die Französin Alicé Cornet mit 6:3 und 6:3, in
Runde 3 gegen Varvara Lepchenko mit 6:1 und 6:3 und nach einem
3-Satz-Sieg gegen die angeschlagene, aufstrebende Madison Keys stand die
Chinesin, welche sich in die Herzen der Zuschauer gespielt und geredet
;-) hatte, plötzlich im Viertelfinale von Melbourne. Erst dort war dann
Endstation gegen die Britin Joanna Konta, einer weiteren
Überraschungsfrau des Turniers.
Shuai Zhang, unsere Heldin des
Turniers!!!
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