US Open 2011
Bei den Damen siegte
mit der Australierin Samantha Stosur eine Spielerin, welche zum ersten
Mal in ihrer Karriere ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnte und vor dem
Turnier höchstens als Aussenseiterin gehandelt wurde. Bei den Herren
setzte sich mit Novak Djokovic die aktuelle Nummer 1 der Welt durch,
welche derzeit das Mass aller Dinge ist und 2011 zum Seriensieger
geworden ist. Zwei ganz unterschiedliche Sieger, beiden gemeinsam ist
aber, dass sie auf mentaler Ebene eine
Topleistung abgerufen haben. Ladies first...
Rückblick auf das
Damenturnier:
Sechzehntelfinals (Stosur vs. Petrova; Serena Williams vs Azarenka; Comeback
von Serena Williams)
In Runde 3 kommt es zu den ersten richtigen Highlights des Turniers.
Samantha Stosur und Nadja Petrova liefern sich eine dramatische Partie,
welche 3 Stunden und 16 Minuten dauert und damit die längste Partie der
Turniergeschichte ist seit Einführung des Tie-Breaks. Stosur gewinnt
schliesslich mit 7:6,6:7 und 7:5. Stosur vergibt in Satz 2 zwei
Matchbälle, behält aber im Entscheidungssatz einen kühlen Kopf und
zeigt kämpferische Qualitäten, welche ihr in der Vergangenheit oft
abgesprochen wurden. In Runde 3 kommt es auch zur Toppartie zwischen
Serena Williams und der an Nummer 4 gesetzten Weissrussin Victoria
Azarenka. Serena Williams war 2010 nach dem Triumph in Wimbledon die
unangefochtene Nummer 1 der Welt, verletzte sich danach aber am Fuss.
Mehrere Operationen waren die Folge, danach eine Lungenembolie, welche
in der Presse gar als lebensbedrohlich beschrieben wurde. Fast ein Jahr
war Serena verletzt ausgefallen. Erst kurz vor Wimbledon startete sie
ihr Comeback. Umso erstaunlicher, dass sie bereits wenige Wochen danach
wieder absolute Weltklasse war. Vor den US Open gewann sie die Turniere
in Stanford und Toronto auf beeindruckende Weise und galt bereits wieder
als Topfavoritin für das Turnier in New York. Mit Azarenka traf sie nun
aber früh im Turnier auf eine Spielerin, welche ebenfalls zum engeren
Favoritenkreis gehörte. Satz 1 war ein einziger Monolog der
Amerikanerin und endete mit 6:1, Satz 2 war dann eine äusserst enge
Angelegenheit und wurde erst im Tie-Break entschieden, den Serena
ebenfalls für sich entscheiden konnte. Serena Williams ist über die
letzten Jahre gesehen wohl die mental stärkste Spielerin auf der Tour
überhaupt. Ihr Siegeswille ist beinahe schon legendär, unzählige Male
hat sie Partien noch umgebogen, in welchen sie lange wie die klare
Verliererin aussah. Gleichzeitig war sie aber auch immer eine sehr
extrovertierte Spielerin, welche sowohl positive, als auch negative
Emotionen zeigte. Seit ihrem Comeback und überstandener Verletzungs-
bzw. Krankheitspause wirkt sie nun aber viel ruhiger und fokussierter
auf dem Platz. Es scheint so, als ob sie sich mental noch weiter
entwickelt hat, etwas was bei vielen Spielerinnen und Spielern zu
beobachten ist, welche schwere Zeiten hinter sich haben. In Interviews
betont sie, wie dankbar sie sei wieder professionell Tennisspielen zu
können und dass sie selbst überrascht sei wie gut es läuft.
Achtelfinals (Stosur
vs. Kirilenko)
Im Achtelfinale steht
wiederum Samantha Stosur im Blickpunkt, da sie erneut an einem neuen
Rekord beteiligt ist. Sie gewinnt ihre Partie gegen Maria Kirilenko mit
6:2, 6:7 und 6:3. Spektakulär dabei Satz 2, der mit 17:15 im Tie-Break
an Kirilenko geht. Der längste Tie-Break der GS-Geschichte bei den
Damen. Kirilenko wehrt dabei 5 Matchbälle ab, zwei davon durch Einsatz
der Challenge, welche ihr in beiden Fällen recht gibt. Beeindruckend
ist, wie Samantha Stosur diesen unglücklichen Satzverlust wegstecken
kann. Wie oft sieht man danach einen Einbruch. Nach kurzer Enttäuschung
ist sie in Satz 3 wieder voll präsent, mit der Einstellung, dass nun
einfach wieder alles bei Null beginnt. Auf der anschliessenden
Pressekonferenz strich sie dies auch hervor:
"I processed that
disappointment well. I thought, Okay, how am I going to play this
next set and start from scratch all over again. I think I was able
to bounce back really well. That's probably the most pleasing
thing for me to get out of that match, is just to be able to come back
from that."
Halbfinals (Serena
Williams
vs. Wozniacki)
Im Halbfinale kommt
es zur Begegnung zwischen der Topgesetzten Caroline Wozniacki, welche
überlegen die Weltrangliste anführt und Serena Williams. Die Nummer 1
der Welt ist jedoch die klare Aussenseiterin und hat bei der 2:6 und 4:6
Niederlage auch überhaupt keine Chance. Serena Williams scheint nicht
aufzuhalten zu sein und hat bis zum Finale keinen einzigen Satz
abgegeben. In der anderen Tableauhälfte hat es Samantha Stosur
geschafft und sich ins Finale gespielt. Die erfolgreich überwundenen
schwierigen Momente in den Partien gegen Petrova und Kirilenko scheinen
ihr zusätzliches Selbstvertrauen gegeben zu haben. Damit steht sie in
ihrem 2. GS-Finale. Im Vorjahr hatte sie in Paris das Finale erreicht,
galt als Favoritin gegen die Italienerin Francesca Schiavone, blieb dann
im Finale aber weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Finale (Stosur vs.
Serena Williams)
Das Damenfinale
fällt ausgerechnet auf den 10. Jahrestag des Terroranschlags auf die
Twin Towers. Auf der einen Seite Serena Williams, die 13-fache
GS-Siegerin, welche in Finalspielen in der Vergangenheit oft noch einen
Gang zulegen konnte, auf der andern Seite Samantha Stosur, noch ohne
Erfolg bei GS-Turnieren und in Finalspielen auf der WTA-Tour nicht gerade erfolgreich mit
einer Bilanz von 2:9! Doch
an diesem Tag ist alles anders. Stosur agiert von Anfang an äusserst
entschlossen und es gelingt ihr das erste Break zum 2:1. Sie zeigt ihre
mit Abstand beste Leistung im Turnierverlauf, macht kaum Fehler und
punktet immer wieder durch ihre starke Vorhand. Serena auf der andern
Seite schlägt für ihre Verhältnisse schwach auf, versucht zwar
vieles, es unterlaufen ihr dabei aber zu viele Fehler. Wie angespannt
sie ist, zeigt sich im ersten Game des zweiten Satzes, als sie sich mit
der Stuhlschiedsrichterin anlegt. Durch diesen Vorfall spielt Serena
zwar plötzlich mit mehr Aggressivität, doch ist diese Phase nur von
kurzer Dauer. Stosur ist an diesem Tag viel ausgeglichener und mental
der Situation gewachsen. Sie verwertet ihren 3. Matchball und gewinnt
den Final überraschend mit 6:2 und 6:3. Interessant, was sie danach auf
der Pressekonferenz den Journalisten antwortete. So sagte sie, dass sie
sich als Aussenseiterin vor dem Final gefühlt habe und dadurch wohl
entspannter gewesen sei. Trotzdem habe sie an ihre Chance geglaubt.
Zudem haben ihr die Erfahrungen vom verlorenen Finale gegen Schiavone
geholfen. Im Originalton:
"Well, I mean, I felt like
I was definitely the underdog going into it, so maybe that kind of made
me a little more relaxed going into this match than especially my last
Grand Slam final. I think I was able to draw on a lot of that
experience from the French Open. You know, I had to believe I had
a chance to win."
Weiter führte
sie aus, dass auch sie störende Gedanken gehabt hätte, entscheidend
sei jedoch, wie man mit solchen Gedanken umginge. Sie habe einfach
versucht Punkt für Punkt zu spielen, ihren "Game-Plan"
umzusetzen und ihren Stärken zu vertrauen:
"Things come into your mind.
You can't control what comes into your mind. But I guess you can
control what you do with those thoughts. Yeah, I just tried to keep
playing each game, each point, and stick to my game plan, stick to my
guns, and not leave anything to chance. Fortunately I was able to do
that from start to finish."
Gewissermassen habe
sie sich auch selbst überrascht, wie es ihr gelungen sei fokussiert zu
bleiben und mit Rückschlägen umzugehen:
"I've kind of surprised
myself with how much I have been able to mentally stay focused on court
and bounce back from the adversity from matches."
Abschliessend wurde
Stosur noch auf die Zusammenarbeit mit Ruth Anderson, einer
Sportpsychologin, angesprochen. Seit zwei Jahren arbeiten sie zusammen.
Durch die Gespräche habe sie viel über sich als Spielerin, aber auch
als Mensch ausserhalb des Tenniscourts gelernt:
"Yeah, we touch base I
guess sometimes regularly, sometimes not so much. I think I've
worked with her for nearly two years now and have certainly learned a
lot about myself as a player and off the court as a person. I
think, you know, all that time it's not always nice conversations that
you have deal with it and talk about, but at the end of the day it's all
for a reason. You know, I think she's been able to open my mind up
to a lot of different things, and probably just make me realize certain
things in myself. It's just working it out. Yeah, obviously
very glad that I've started that relationship with Ruth to work on those
aspects of my tennis."
Rückblick auf das
Herrenturnier:
Die Top 4 im Halbfinale; zu
Murrays bisheriger Saison
Währenddem beim Damenturnier
einige hoch gehandelte Spielerinnen sich schon früh verabschiedeten,
verlief das Herrenturnier ohne grosse Überraschungen. Im Halbfinale
standen schliesslich die 4 Topgesetzten, sodass es zu den Partien
Djokovic - Federer und Nadal - Murray kommen sollte.
Von den 4
Topspielerin ist Andy Murray derzeit in mentaler Hinsicht klar der
schwächste. Von seinem spielerischen Potential und seinen körperlichen
Voraussetzungen her müsste Murray bereits längst ein GS-Turnier gewonnen
haben. Den letzten Schritt hat er bisher aber nicht geschafft. Auf dem
Platz verliert er oft seine Konzentration, wird negativ und hadert
häufig mit sich und den Bedingungen. Seine mentalen Schwankungen zeigen
sich auch in den Ergebnissen in der Saison 2011. Er hat einen sehr guten
Start in die Saison und erreicht beim ersten GS-Turnier des Jahres in
Melbourne das Finale, in welchem er Djokovic unterliegt. Bei den nächsten
drei Turnieren scheitert er dann jeweils in Runde 1 gegen Gegner, welche
ihm eigentlich deutlich unterlegen sind. Vor den US Open verliert er
beim Masters 1000-Turnier in Montreal sang- und klanglos gegen den
Südafrikaner Kevin Anderson mit 3:6 und 1:6 - ein totales Debakel. In
der Woche darauf scheint ein ganz anderer Murray auf dem Platz zu
stehen. Er gewinnt das Masters 1000-Turnier in Cincinatti ohne
Satzverlust!
Halbfinals (Nadal
vs. Murray; Djokovic vs. Federer)
Zurück zu den US
Open: Im Halbfinale gegen Rafael Nadal diktiert Murray die meisten der
Ballwechsel. Doch scheitert er einmal mehr an seiner inneren Unruhe. In
vielen Situationen ist er zu ungeduldig und greift viel zu ungestüm an.
Am Ende der Partie, welche Nadal in vier Sätzen für sich entscheiden
kann, hat Murray zwar mehr Winner geschlagen als Nadal, er hat aber auch
weit mehr unerzwungene Fehler begangen als der Spanier (55:23). Murray
hätte das Spiel gehabt, um Nadal zu schlagen, doch konnte er sein
Potential nur sporadisch abrufen.
Im zweiten Halbfinale
kommt es zum Klassiker zwischen Roger Federer und Novak Djokovic. Die
beiden haben sich schon viele denkwürdige und äusserst umstrittene
Partien geliefert. Gingen die Spiele früher fast immer zugunsten von
Federer aus, hat sich das Blatt seit einem Jahr gewendet. Im Vorjahr
trafen die beiden ebenfalls im Halbfinale der US Open aufeinander.
Djokovic wehrte zwei Matchbälle ab und gewann die hochklassige Partie.
2011 sieht es lange sehr gut aus für Federer. Er gewinnt die ersten
beiden Sätze, lässt danach aber etwas nach und Djokovic findet immer
besser ins Spiel. Satz 3 und 4 gehen an den Serben, es geht in einen 5.
Satz. Bei 4:3 gelingt Federer das Break, anschliessend hat er die
Möglichkeit die Partie bei eigenem Aufschlag zu beenden. Federer führt
40:15 und hat zwei Matchbälle, doch dann kommt es zu einer Szene,
welche noch lange in Erinnerung bleiben wird und für eine dramatische
Wende sorgt. Eigentlich wirkt Djokovic verzweifelt (achten Sie beim
nachfolgenden Videolink auf seinen Gesichtsausdruck!), doch dann
entscheidet er sich alles zu riskieren. Auf einen ersten Aufschlag von
Federer antwortet er mit einem Vorhand-Cross-Return, der für Federer
unerreichbar im Feld landet.
Videolink:
Federer vs. Djokovic - Matchbälle
Djokovic lässt sich
feiern, aber Federer hat einen zweiten Matchball. Doch dieser Schlag
scheint bei Federer tiefe Spuren hinterlassen zu haben. Er begeht einen
einfachen Vorhand-Fehler und plötzlich ist der Faden bei ihm gerissen.
Djokovic schafft das Break, wittert Morgenluft, während Federer Fehler
an Fehler reiht und die Partie schliesslich mit 5:7 verliert.
Eine interessante
Frage in diesem Zusammenhang ist, ob die Entscheidung zu diesem
Vorhand-Return eine Verzweiflungstat war oder ein Zeichen von
Selbstvertrauen? Genau mit dieser Frage wurde Federer an der
anschliessenden Pressekonferenz konfrontiert. Und er hatte darauf eine klare Antwort:
"Confidence? Are you kidding me? I mean, please."
Aus seiner Sicht war es ein Glücksball, der für diese Wende sorgte.
Djokovic habe sich vorher mental bereits von der Partie verabschiedet
und es sei besonders enttäuschend auf so eine Art und Weise die Partie
noch zu verlieren:
"It's just not -- a guy who believes much,
you know, anymore in winning. Then to lose against someone like
that, it's very disappointing, because you feel like he was mentally out
of it already. Just gets the lucky shot at the end, and off you go."
Sehr gut möglich, dass die Analyse von Federer ins Schwarze trifft.
Federer sollte sich aber fragen, warum er durch diese Aktion derart aus
der Bahn geworfen wurde. Er hatte ja noch immer einen Matchball und
selbst als Djokovic das Re-Break zum 5:4 gelang, hatte er noch alle
Chancen die Partie zu seinen Gunsten zu entscheiden. Von diesem
erfolgreichen Risikoschlag erholte sich Federer nicht mehr...
Finale (Djokovic
vs. Nadal)
Im Finale kommt es
mit der Partie zwischen Nadal und Djokovic zu einem weiteren Klassiker.
2011 haben die beiden bereits fünfmal gegeneinander gespielt, immer in
Finals und immer war Djokovic dabei siegreich. In den ersten beiden
Sätzen gelingt Nadal jeweils das frühe Break und geht mit 2:0 in
Führung, anschliessend ist Djokovic aber der klar stärkere Spieler.
Satz 3 ist qualitativ der hochstehendste und zugleich auch spannendste
Satz. Bei 6:5 schlägt Djokovic zum Matchgewinn auf, kassiert aber das
Re-Break. Der Tie-Break ist dann eine klare Sache für Nadal, der
plötzlich mit mehr Emotionen spielt, so richtig in Fahrt gekommen ist
und nun das Momentum auf seiner Seite zu haben scheint. Nach dem
verlorenen dritten Satz lässt sich Djokovic nach dem ersten Spiel im
vierten Satz an der Schulter behandeln, es folgt eine längere
Unterbrechung. Nach Wiederaufnahme ist es aber Nadal, der stark
nachlässt und keine Chance mehr hat. Es gibt Stimmen, welche behaupten,
dass Djokovic das "Medical-Timeout" nicht wegen
Rückenproblemen, sondern aus taktischen Gründen genommen hat, um Nadal
den Schwung zu nehmen und sich selbst wieder neu zu ordnen. Dies ist
aber Spekulation! Tatsächlich servierte der Saisondominator danach
langsamer, aber ein Nachlassen war in erster Linie bei Nadal zu
beobachten, der plötzlich viel zu passiv agierte.
Als Djokovic auf
seine knappen Siege gegen Federer oder wie in Paris gegen Andy Murray
und nach dem ausschlaggebenden Faktor gefragt wird, antwortet er, dass
es eine Glaubenssache sei. Wer mehr daran glaube, würde den Platz als
Sieger verlassen:
"I
guess the winner is the one that believes in victory more than the other.
That's all there is."
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