Wimbledon
2012
Das Wimbledon-Turnier 2012 sorgte gleich für mehrere denkwürdige
Geschichten und Ereignisse, welche in die Tennishistorie eingehen
werden. Es war ein Turnier, das vielen noch lange in Erinnerung bleiben
wird.
Beitragsübersicht:
Federer gewinnt
zum 7. Mal in Wimbledon und kehrt zurück an die Weltranglisten-Spitze
2003
gewann Federer zum ersten Mal in Wimbledon - gleichzeitig sein erster
Erfolg bei einem GS-Turnier. Es war der Beginn einer unglaublichen
Karriere. Federer reihte Sieg an Sieg, brach Rekord um Rekord und war über Jahre
die unangefochtene Nummer 1. Sein letzter Triumph bei einem GS-Turnier datierte
jedoch vom Januar 2010 - seither war Federer oft nahe dran, scheiterte
jedoch an seinen jüngeren Widersachern wie Rafael Nadal oder Novak Djokovic.
Öfters war in der Presse zu lesen, dass Federers Zeit für die ganz
grossen Titel abgelaufen sei. Mit über 30 werde er keinen GS-Titel mehr
gewinnen und die Spitze der Weltrangliste nochmals zu erklimmen, sei ausser Reichweite.
Nicht zum ersten Mal wurde Federer abgeschrieben. Doch
Federer hat es allen - und speziell seinen Kritikern - eindrücklich
gezeigt. Mit seinem Finalerfolg über den Schotten Andy Murray in einer
hochklassigen Partie gewann Federer den Wimbledon-Titel zum 7. Mal und
kehrte damit gleichzeitig an die Spitze der Weltrangliste zurück. Doch
bis es so weit war, hatte Federer in Wimbledon einige bange Momente zu
überstehen... In
Runde 3 traf er auf den Franzosen Julien Benneteau und fand seinen
Rhythmus lange überhaupt nicht. Er verlor die ersten beiden Sätze und
in Satz vier war der Franzose verschiedentlich ganz nahe an der
faustdicken Sensation und nur noch zwei Punktgewinne vom Sieg entfernt.
Doch Federer blieb auch in diesen Phasen äusserlich ruhig, schaffte es
irgendwie in den Tie-Break und konnte diesen hauchdünn mit 8:6 für
sich entscheiden. Danach musste Benneteau dem kräfteraubenden Spiel
Tribut zollen und war in Satz 5 chancenlos. Nach der Partie zeigte sich
Benneteau tief beeindruckt von Federers mentaler Stärke: "Er
ist in mentaler Hinsicht ein Fels. Er liegt mit 0:2 Sätzen zurück und
lässt sich nichts anmerken. Wenn du auch nur ein wenig nachlässt,
packt er die Möglichkeit und dreht die Partie." Im
Achtelfinale kam es zur Begegnung mit Xavier Malisse. Bald einmal war
ersichtlich, dass Federer körperlich beeinträchtigt und in seinen
Bewegungen eingeschränkt war. Er musste sich behandeln lassen und war
wohl heilfroh, dass die Partie nach dem ersten Satz wegen Regens
unterbrochen wurde. Auch in der Folge spielte er verhalten, taktisch
indes enorm clever, währenddem Malisse irgendwie gehemmt wirkte,
angesichts der unerwarteten Chance, welche sich ihm plötzlich bot. Und
so fand Federer einen Weg die Partie in 4 Sätzen für sich zu
entscheiden und ins Viertelfinale einzuziehen. Die Frage indes blieb,
wie es körperlich weitergehen und ob sein Rücken wieder voll
belastungsfähig sein würde. Aufatmen
dann zwei Tage später: Federer präsentierte sich in der Partie gegen
Mikhail Youzhny bestens erholt und spielte zum ersten Mal im Verlaufe
des Turniers
hervorragendes Tennis. Gerade rechtzeitig zeigte die Formkurve steil
nach oben, denn im Halbfinale wartete
anschliessend der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic.
Interessanterweise war es das erste Aufeinandertreffen zwischen den
beiden auf Rasen. In
den ersten beiden Sätzen gab es kaum längere Ballwechsel. Nach nicht
einmal einer Stunde hatten beide Spieler je einen Satz deutlich für
sich entschieden. Satz 3 war dann der umstrittenste, Federer mit
leichten Vorteilen und überraschenderweise mit weniger unerzwungenen
Fehlern als Djokovic. Mit seiner fünften Breakchance realisierte
Federer schliesslich das entscheidende Break zum Satzgewinn bei 5:4 und
war fortan nicht mehr aufzuhalten. Das
Finale bot eine packende Affiche: Auf der einen Seite Andy Murray, der
sich in Wimbledon zum ersten Mal für das Finale qualifiziert hatte. Der
"local hero", der noch nie ein GS-Turnier für sich
entscheiden konnte und als erster Brite seit 1936 (Fred Perrys letztem
Erfolg) die Möglichkeit hatte das Turnier zu gewinnen. Auf der anderen
Seite Roger Federer, der das Turnier bereits 6-mal gewinnen konnte, mit
einem weiteren Titel den Rekord von Pete Sampras egalisieren konnte und
bei einem Erfolg wieder die Nummer 1 sein würde. Zudem würde er damit
einen weiteren Rekord von Sampras übertreffen und derjenige Spieler
werden, der die meisten Wochen die Nummer 1 der Welt war. Die Frage war
deshalb, wie die beiden Spieler mit dieser Situation umgehen würden.
Konnten sie das alles ausblenden und sich aufs Spiel konzentrieren? In
beiden Fällen kann die Frage mit einem JA beantwortet werden. Das
Finale bot herausragendes Tennis auf allerhöchstem Niveau. Nach einem
Fehlstart hatte Federer danach leichte Vorteile in Satz 1, verlor diesen
dann jedoch mit 4:6. In Satz 2 spielte Murray noch stärker und war nahe
an einer 2:0 Satzführung. Federer wehrte in extremis Breakchancen ab
und spielte bei 6:5 Führung ein sensationelles Returngame, das ihm den
Satzausgleich brachte. Zu Beginn des dritten Satzes musste die Partie
unterbrochen werden und wurde bei geschlossenem Dach fortgesetzt. Fortan
gelang es Federer das Spiel zunehmend zu bestimmen gegen einen bis
zuletzt aufopferungsvoll kämpfenden Andy Murray. Nach 3 Stunden und 24
Minuten verwandelte Federer seinen 2. Matchball - welch eine Leistung,
die er vollbracht hatte gegen einen Gegner, der ihm alles abverlangte.
Der in gewissen Kreisen als zu "alt" abgestempelte,
beeindruckte insbesondere durch eine sensationelle Beinarbeit und
bewegte sich leichtfüssig und wieselflink über den "heiligen
Rasen" von Wimbledon. Mindestens so beeindruckend ist zudem, wie
Federer mit diesen Hindernissen umgegangen ist, welche sich ihm in den
Weg stellten. Er liess sich durch nichts aus der Ruhe bringen und verlor
nie den Glauben an seine Chance und an seine Fähigkeiten. Kürzlich
wurde im Schweizer Fernsehen eine Dokumentation über Federer
ausgestrahlt. Der Titel: "Roger Federer - spirit of a champion"... Die
Rückkehr von Serena Williams Im
Juli 2010 gewann Serena Williams in Wimbledon ihren 13. GS-Titel. Damals
war sie die dominierende Spielerin auf der Tour und führte die
Weltrangliste an. Doch kurz darauf wurde ihre Dominanz jäh gestoppt.
Abseits des Tenniscourts erlitt sie eine gravierende Fussverletzung und
als diese auskuriert war, wurde kurz darauf bei ihr eine Lungenembolie
diagnostiziert - siehe auch den Bericht zum Damenturnier
bei den US Open 2011. Im
Jahre 2012 spielte Serena Williams im Vorfeld der French Open eine
grossartige Sandplatzsaison. In Charleston und in Madrid deklassierte
sie ihre Konkurrenz und liess Spielerinnen wie Sharapova, Azarenka oder
Stosur nicht den Hauch einer Chance. So reiste sie als eine der
Topfavoritinnen nach Paris, um dann zum ersten Mal in ihrer Karriere in
Runde 1 eines GS-Turniers sensationell auszuscheiden. Wie
würde sie darauf nur einige Wochen später reagieren? Hatte sie sich
davon erholt? - Nach zwei einfachen Auftaktsiegen traf Williams in Runde
3 auf Jie Zheng, eine gefährliche Rasenspielerin. Bei eigenem Aufschlag
war Serena unantastbar, doch beim Return offenbarte sie grosse
Schwächen. So verlor sie den ersten Satz im Tie-Break, steigerte sich
dann in Satz 2 deutlich, um den Satzausgleich zu realisieren. Satz 3 war
dann ein Hitchcock - beide Spielerinnen hielten ihren Aufschlag bis
Williams beim Stande von 7:7 das entscheidende Break gelang und wenig
später als Siegerin feststand. Die Erleichterung war ihr anzusehen.
Nicht gut gespielt, doch mit eisernem Willen die Partie letztlich doch
noch gewonnen. Irgendwie war zu spüren - dieser Sieg war enorm wichtig
für ihr Selbstvertrauen. Nun ist Serena Williams richtig im Turnier
angekommen und wird nur noch schwer zu stoppen sein... Leichter
wurde es danach jedoch keineswegs, hatte Serena doch eine sehr
schwierige Auslosung erwischt. Im Achtelfinale traf sie auf die sich in
blendender Form befindende Yaroslava Shvedova. Abermals eine ganz enge
Partie und wiederum behielt Serena im dritten Satz mit einem 7:5 knapp
die Oberhand. Im Viertelfinale wartete mit Petra Kvitova die
Vorjahressiegerin, doch nun hatte die Amerikanerin den Tritt endgültig
gefunden. Weiterhin schlug sie hervorragend auf und in den Ballwechseln
war sie nun viel sicherer und variabler als noch in der Partie gegen Jie
Zheng. Auch äusserlich war ein Wandel sichtbar: Williams wirkte viel
ruhiger, fokussierter und hatte mehr Vertrauen in ihre Schläge. Sie
gewann die Partie in zwei Sätzen und traf anschliessend im Halbfinale
auf die Weltranglistenzweite Victoria Azarenka. Für viele das
vorweggenommene Finale. In Satz 1 hatte Serena klar die Oberhand und
auch in Satz 2 gelang ihr ein frühes Break. Doch dann verkrampfte sie
sich, kassierte das Re-Break und beanspruchte auch etwas Glück, damit
sie die Partie im Tie-Break des zweiten Satzes doch noch mit 8:6 für
sich entscheiden konnte. Diesen Eindruck bestätigte sie auch im
Interview nach der Partie: Ja, sie sei nervös geworden und es sei
ihr einfach nicht mehr gelungen sich zu entspannen. Im
Finale traf Serena Williams auf die Polin Agnieszka Radwanska, die
Weltnummer 3, welche in ihrem Stil etwas an Martina Hingis erinnert und
mit einem Finalerfolg gar die Nummer 1 der Welt hätte werden können.
Doch Williams galt als klare Favoritin für das Finale und wurde dieser
Rolle auch gerecht. Satz 1 war eine glasklare Sache und es zeichnete
sich ein kurzes Endspiel ab. Doch ab Mitte des zweiten Satzes zeigte
Serena plötzlich Nerven, reihte Fehler an Fehler und brachte ihre
Gegnerin zurück ins Spiel. Plötzlich war der Satzausgleich da.
Imponierend wie sich Serena dann jedoch wieder fangen konnte, zu ihrem
Spiel zurück fand und Satz 3 wiederum dominierte. Und
so konnte eine freudestrahlende Serena Williams am Samstag-Nachmittag,
des 7. Juli zum fünften Mal die Siegertrophäe in die Höhe stemmen.
Wie im Falle von Federer war es ihr erster Titel bei einem GS-Turnier
mit über 30 Jahren. Ihr erster Titel stammt übrigens aus dem Jahre
1999, als sie Martina Hingis im Finale der US Open bezwingen konnte.
Welch eine Karriere! Wenige
Stunden später gewann Serena Williams an der Seite ihrer Schwester
Venus auch die Doppelkonkurrenz. "Golden-Set" von
Yaroslava Shvedova In
der dritten Runde kam es in der Begegnung zwischen der Kasachin
Yaroslava Shvedova und der Italienerin Sara Errani zu einem historischen
Spielverlauf. Wochen zuvor hatte Errani bei den French Open
überraschend das Finale erreicht und stiess mit diesem Erfolg in die
Top 10 vor. Doch gegen Shvedova sollte sie ein Debakel erleben... Shvedova
gewann den ersten Satz in 15 Minuten mit 6:0 und gab dabei keinen
einzigen Punkt ab - sprich: das Punkteergebnis lautete, so unglaublich
es klingen mag, 24:0!!! Shvedova reihte Winner an Winner und schaffte
damit etwas, was noch nie zuvor einer Spielerin seit der Open Ära
(Zulassung der Profis im Jahre 1968) gelungen war. Der nachfolgende
Videolink zeigt im Schnelldurchlauf, wie es dazu kam: Satz
1 Shvedova - Errani Shvedova
realisierte erst nach der Partie, was ihr da gelungen war. Selbst hatte
sie das Gefühl einen sehr guten ersten Satz gespielt zu haben.
Angesprochen darauf, warum es derzeit bei ihr so gut laufe, antwortete
sie: "It's about confidence..." Was
weiter interessant ist und zusätzlich belegt, dass Shvedova eine
Spielerin mit grossen Schwankungen ist, ist der folgende Umstand. Schon
vor ihrem "Golden Set" hielt sie den Rekord für die meisten
Punkte am Stück. In der Partie gegen Amy Frazier aus dem Jahre 2006
gewann sie die ersten 23 Punkte der Begegnung und stand einen einzigen
Punkt vor dem "Golden Set". Fast nicht zu glauben, dass sie
dann die Partie jedoch völlig aus der Hand gab und schlussendlich sang-
und klanglos unterging. Das seltsam anmutende Ergebnis lautete damals
6:1, 0:6 und 0:6. Sensation im
Herren-Doppel Zu
einer der grössten Überraschungen der Tennisgeschichte kam es im
Doppelbewerb der Herren. Der Titel ging an das britisch-dänische Duo
Jonathan Marray/Frederik Nielsen, welches mit einer Wild-Card an den
Start ging. Die beiden hatten zuvor erst einmal gemeinsam an einem
Turnier teilgenommen. Frederik Nielsen hatte bis Wimbledon keine einzige
Partie an einem GS-Turnier gewinnen können und auch Jonathan Marray
agierte zumeist erfolglos. In
Wimbledon sollte jedoch alles ganz anders werden. Die beiden "Nobodies"
standen in Runde 1 kurz vor dem Aus, als sie doch noch den fünften Satz
mit 7:5 gewannen. Es folgten in Runde 3 und im Viertelfinale weitere
knappe 5-Satz-Erfolge, bevor sie im Halbfinale auf die als übermächtig
geltenden Bryan-Brothers trafen. Doch Marray/Nielsen, mit 31 resp. 28
Jahren wahrlich keine aufstrebenden Talente mehr, waren nicht mehr zu
stoppen und sorgten mit dem Titelgewinn für ein Tennismärchen, das
zeigt, was alles möglich sein kann - als "chancenlose"
Aussenseiter gestartet, grüssten die beiden plötzlich als
Wimbledon-Sieger! Die Geschichte von Brian Baker ...und
dann gibt es noch die verblüffende Geschichte von Brian Baker, einem
27-jährigen Amerikaner. Einst ein hoffnungsvoller Junior, der die
Orange Bowl im Jahre 2002 gewann und die Nummer 2 der
Junioren-Weltrangliste wurde, war seine Profitenniskarriere aufgrund
etlicher Verletzungen eigentlich abgeschlossen. Im Jahre 2005 gewann er
sogar u.a. gegen Novak Djokovic und schien auch bei den Profis Tritt
fassen zu können, bis ihn eine Hüftverletzung am Ende des Jahres jäh
stoppte. Es folgten mehrere Operationen und nur noch sporadische
Auftritte bei Turnieren. 2008 zog er die Konsequenzen, beendete seine
Laufbahn, begann ein Studium und arbeitete nebenher als Tennistrainer an
einer Universität. Drei
Jahre später beschloss Brian Baker es doch nochmals zu versuchen und
seinen Traum zu verwirklichen. Zu seiner Entscheidung sagte er: "Ich
wollte nicht später zurückblicken und mich ärgern, dass ich es nicht
noch einmal versucht habe." Ohne in der Weltrangliste geführt
zu werden, nahm er in Pittsburgh an einem sog. "Future-Turnier"
teil, gewann dieses ohne Satzverlust und erhielt dafür 18
Weltranglistenpunkte. Am Ende des Jahres hatte er sich auf Position 456
vorgearbeitet und was das Wichtigste war: der Körper hielt den
Belastungen stand. Unmittelbar
vor den French Open sorgte Baker für Aufsehen, als er beim Turnier in
Nizza völlig überraschend das Endspiel erreichte und auf dem Weg
Spieler wie Gael Monfils oder Nikolay Davydenko bezwang. Für die French
Open erhielt er eine Wild-Card und verlor in Runde 2 nur knapp in 5
Sätzen gegen die Setznummer 12, Gilles Simon. Noch besser sollte es
wenig später in Wimbledon laufen. Brian Baker überstand die
Qualifikation und nach drei weiteren Erfolgen im Haupttableau stand er
plötzlich im Achtelfinale des bedeutendsten Tennisturniers. Endstation
war dann der Deutsche Philipp Kohlschreiber. Vor einem Jahr noch ohne
Ranking, stiess Baker mit diesen Erfolgen in die Top 100 der
Weltrangliste vor und wurde am 9. Juli auf Position 76 der Rangliste
geführt. Auch
für die Topspieler ein beinahe unfassbares Comeback: Andy
Roddick meinte dazu: "Es gibt Spieler, die waren sechs Monate
verletzt und hatten ein schwieriges Comeback. Aber er war sechs Jahre
verletzt, ich kann das nicht glauben". Und
Federer: "Wow, das ist eine unglaubliche Geschichte". Auch
Baker selbst nahm in seinen Interviews den Begriff
"unglaublich" öfters in den Mund, meinte jedoch auch: "Ich
hatte immer Vertrauen in meine Fähigkeiten. Nur mein Körper wollte
nicht."
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