Ganz anders die Situation
bei Stanislas Wawrinka. Nach starkem Saisonbeginn, der epischen Partie
gegen Novak Djokovic bei den Australian Open (siehe unseren Artikel dazu
im April-Newsletter) und einer gelungenen Sandplatzsaison, geriet
Wawrinka zuletzt zwar etwas ausser Tritt. In Wimbledon scheiterte er
bereits in der Startrunde, in Gstaad musste er mit Rückenbeschwerden aufgeben und auch in
Montreal und Cincinatti bei den beiden Masters 1000 Turnieren kam für
den Romand das früher Aus. Trotzdem zeigte er sich vor dem Start
der US Open äusserst zuversichtlich und auch sein Trainer, Magnus
Norman, sagte vor der 1. Rundenbegegnung gegen den unberechenbaren Radek
Stepanek folgendes:
"Es
sind nur kleine Dinge, die fehlten. In der vergangenen Woche konnten wir
viel trainieren. Er schlägt den Ball hervorragend und das Selbstvertrauen
ist wieder da." Und fügte hinzu: "Wir sind bereit für
die US Open."
Wawrinka
liess den Worten Taten folgen. Gegen Stepanek, gegen den er alle vier
bisherigen Partien verloren hatte, siegte er sicher in 3 Sätzen. Gegen
den Aufschlagsriesen, Ivo Karlovic, folgte ein weiterer 3 Satz-Sieg.
Nach einem weiteren Erfolg zeigte er im Achtelfinale gegen den
Geheimfavoriten und die Weltnummer 5, Tomas Berdych, eine beeindruckende
Leistung und setzte sich in 4 Sätzen durch. Das Meisterstück dann im
Viertelfinale gegen den schottischen Titelverteidiger, Andy Murray.
Wawrinka liess dem Briten überhaupt keine Chance, agierte ruhig und
souverän und gewann die Partie deutlich in drei Sätzen mit 6:4, 6:3
und 6:2. Es war aus Wawrinkas Sicht eine Partie wie aus einem Guss, in
welcher so gut wie alles funktionierte, während Murray nie ins Spiel
kam und kein Rezept gegen das druckvolle und variantenreiche Spiel
Wawrinkas fand. Zum ersten Mal in seiner Karriere hatte sich der
28-jährige für einen Grand-Slam-Halbfinal qualifiziert und seine
Fortschritte insbesondere im mentalen Bereich eindrücklich
bestätigt. Im Interview nach der Partie sagte er, dass er vor
allem glücklich sei, wie er mit dem Druck umgehen konnte und wie
konzentriert er gespielt habe und auf die Frage, wie er sich diese guten
Leistungen erklären könne:
"Ich
habe derzeit viel Vertrauen in mich und mein Spiel."
Und
Wawrinka machte im Halbfinale gegen den Weltranglisten-Ersten Novak
Djokovic weiter, wo er aufgehört hatte. Er war lange Zeit der bessere
Spieler, bis Djokovic besser ins Spiel fand und die Partie ausgeglichen
gestalten konnte. Letztlich unterlag er nach über vierstündiger
Spielzeit knapp in fünf Sätzen, doch hatte er wie bei den Australian
Open dem Serben einen packenden Kampf geliefert, der die Zuschauer schon
während der Partie zu "Standing Ovations" animierte. Nicht
viel hatte gefehlt und Wawrinka hätte gar den Final erreicht...
Doch
auch die Halbfinalqualifikation verdient grössten Respekt. Wawrinka
hat in den Tagen von New York herausragendes geleistet und sein bestes
Tennis gespielt.
Auf
etwas möchten wir abschliessend jedoch noch hinweisen, das der einen
oder dem anderen vielleicht ebenfalls aufgefallen ist. Seit einiger Zeit
trägt Wawrinka am linken Unterarm ein Tattoo mit einem Zitat des
irischen Schriftstellers Samuel Beckett:
"Ever tried. Ever failed.
No matter. Try again. Fail again. Fail better."
Auf Deutsch in etwa
übersetzt mit: "Immer versucht. Immer gescheitert. Macht nichts.
Versuch es erneut. Wieder scheitern. Besser scheitern."
Und in der
Tat war die Halbfinalniederlage gegen Djokovic ein Scheitern auf äusserst
hohem Niveau. Die Frage ist jedoch: Kann Wawrinka überhaupt den ganz
grossen Coup landen (in seinem Falle bspw. der Gewinn eines GS-Titels),
wenn er Tag und Nacht eine Aufschrift auf sich trägt, die mit einem
Scheitern endet?