French Open 2015
Mit zwei spektakulären und hochstehenden Finalspielen endeten die
diesjährigen French Open. Und: Das Schweizer Tennismärchen fand eine
unerwartete Fortsetzung. In diesem Artikel beleuchten wir das
Turniergeschehen anhand von vier Hauptprotagonisten.
Timea Bacsinszky
In unserem "April-Artikel" hatten wir
bereits über Timeas Neuanfang und Aufstieg in die Weltspitze berichtet.
Bei den French Open bestätigte sie nun die Fortschritte eindrücklich und
zeigte, dass sie auch auf der ganz grossen Bühne bestehen kann. Ja,
sogar für die grosse Bühne gemacht ist und dann noch besser spielt.
Während sich viele andere Spielerinnen von grossen Kulissen negativ
beeinflussen lassen und nicht ihr Spiel abrufen können, war bei Timea so
etwas nicht im Ansatz zu sehen. Auf dem Weg ins Halbfinale brillierte
sie mit ihrem variantenreichen Tennis, bezwang u.a. die aufstrebende
Madison Keys und die an Nummer 4 gesetzte Petra Kvitova, versprühte
Spielfreude und agierte hochkonzentriert. Sogar der ganz grosse Coup lag
in Reichweite, als sie im Halbfinale gegen die topgesetzte Serena
Williams mit Satz und Break führte, ehe die Amerikanerin eine Wende
schaffte, über welche noch zu reden sein wird.
Mit diesem Erfolg kletterte
Bacsinszky im Ranking auf Position 15, in der Jahreswertung ist sie gar
wieder in die Top 10 eingezogen und wäre derzeit gar für die WTA-Finals
qualiziert, an welchem jeweils die acht besten Spielerinnen der Saison
teilnehmen.
Serena Williams
Serena Williams ist eigentlich so gut
wie immer die Topfavoritin vor dem Start eines GS-Turniers. Die French
Open sind jedoch dasjenige GS-Turnier, das aufgrund der Unterlage für
sie am schwierigsten zu gewinnen ist, insbesondere dann, wenn die
Verhältnisse nass und kalt sind. Vor dem Start des Turniers bestehen
jedoch Unsicherheiten, da Serena zuletzt mit Ellbogenproblemen zu
kämpfen hatte. Und in Runde 2 entgeht die Weltrangliste auch nur knapp
einer frühen Niederlage. An der Pressekonferenz wird sie anschliessend
gefragt, ob sie erleichtert sei, die Partie nach verlorenem Startsatz
noch gedreht zu haben. Antwort: Nein, sie sei nicht erleichtert,
vielmehr sei sie sehr enttäuscht über ihre Spielweise. In Satz 1 habe
sie gar unprofessionell gespielt. Harsche, selbstkritische Worte. Wenn sie so weiterspiele, würde sie bald ausscheiden.
In Runde 3 kommt
es dann zum Thrilller zwischen ihr und Victoria Azarenka, welche
aufgrund einer längeren Verletzung im Ranking ziemlich weit
zurückgefallen ist, doch wieder klar auf dem Weg nach oben ist. Das
Spiel hält die Erwartungen: Die Partie ist wohl die beste des
Damenturniers und könnte gut auch ein Endspiel sein. In extremis schafft
Serena erneut eine Wende, ehe sie in Satz 3 dann die klar bessere
Spielerin ist. Nach einem weiteren Sieg nach Satzrückstand gegen ihre
Landsfrau Sloane Stephens und einem glasklaren Sieg im Viertelfinale,
kommt es zur Begegnung zwischen ihr und Timea.
Von Beginn an schleicht Serena
Williams zwischen den Ballwechseln in Zeitlupentempo über den Platz, bei
den Seitenwechseln kühlt sie sich mit Eis und gibt ein Bild des Jammers
ab. Öfters hat man den Eindruck, dass sie nahe an einem Kollaps ist. In
den Ballwechseln selbst, ist jedoch nicht viel von einer Behinderung zu
sehen. Sie spielt zwar deutlich unter ihren Möglichkeiten und es
unterlaufen ihr viele unerzwungene Fehler, doch die Power ist
mehrheitlich da. Als sie mit Satz und 2:3 im zweiten Satz zurück liegt,
steigert sie fast auf Knopfdruck ihr Niveau und gewinnt die letzten 10
Games der Partie. Doch zwischen den Ballwechseln ändert sich nichts -
Serena vermittelt den Eindruck, dass es ihr ganz schlecht gehe und
trotzdem findet sie einmal mehr einen Weg, um eine Partie noch zu
drehen. Nach
der Partie wird ihr von einigen Seiten Schauspielerei vorgeworfen. Eine
"oscarreife" Performance sei das gewesen. Doch ist dem wirklich so? Gibt
es einen plausiblen Grund, warum die weltbeste Spielerin körperliche
Schwäche vortäuschen soll? - Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Wer Serena Williams schon öfters gesehen hat, weiss:
Sie ist eine äusserst extrovertierte Spielerin. Man sieht es ihr an, wie
es ihr geht. Sie zeigt ihren Ärger, ihre Freude. Während bspw. ihre Schwester
Venus mit einem Pokerface auf dem Platz agiert, zeigt Serena nach aussen
ihr Gefühlsleben. So auch in diesem Halbfinale. Sie versucht gar nicht
erst zu verstecken, dass es ihr körperlich nicht gut geht, sondern zeigt
ihren Zustand ganz offen. Doch kann jemand ernsthaft krank sein und
plötzlich derart gut Tennis spielen? - Ja, das scheint wirklich fast
unglaublich zu sein, doch Tennis ist in gewissem Sinne eine ganz
spezielle Sportart. Tennis ist zwar einerseits ein physisch enorm
fordernder Sport, doch Tennis ist gleichzeitig auch ein Spiel der
Pausen. Die effektive Spielzeit ist äusserst gering, verglichen mit der
gesamten Spieldauer und wenn eine Serena Williams spielt, welche über
den besten Aufschlag, wohl aber auch über den besten Return im
Damentennis verfügt, sind viele Ballwechsel äusserst kurz. Das heisst
also, dass man immer wieder runterfahren kann nach einem Ballwechsel, um
sich dann wieder für einige Sekunden zu aktivieren. Was Serena Williams
an diesem Donnerstag gezeigt hat, war keine Schauspielerei, sondern ein
Meisterstück in Sachen Energiemanagement. Angeschlagen und eigentlich
ins Bett gehörend, schaltete sie nach den Ballwechseln sofort in den
Energiesparmodus, um dann wieder genügend Energie für den nächsten
Ballwechsel zu haben. Es war eine Willensleistung Marke Serena Williams.
Nebst ihren weiteren herausragenden Stärken ist der Wille, ihre ganz
grosse Stärke. Ihr Trainer, Patrick Mouratoglou, hat kürzlich gesagt,
dass dieser unbändige Wille etwas ist, was er zuvor noch nie bei einer
anderen Spielerin gesehen habe.
Serena Williams sagt anschliessend
beim Platzinterview mit heiserer Stimme, dass sie selbst nicht wisse, woher sie die nötige
Energie genommen habe. Anschliessend wird das Interview abgebrochen, die
offizielle Pressekonferenz wird abgesagt, den nächsten Tag verbringt
Serena, gemäss eigener Aussage, ganz im Bett.
Im Finale geht es Serena wieder
besser. Anderthalb Sätze spielt sie ihre Gegnerin Lucie Safarova an die
Wand. Beim Stande von 4:1 kommt dann jedoch Nervosität auf, plötzlich
agiert sie fehlerhaft und Safarova steigert sich zusehends und spielt
zum Ende von Satz 2 bärenstark auf. Doch in Satz 3 findet Williams
wieder ihre Sicherheit und feiert letztlich ihren 20. Erfolg bei einem
GS-Turnier. Aufgrund der Umstände vielleicht der grösste Sieg überhaupt
und ganz im Sinne von:
"Believe you can anything, even
when down"
(Zitat aus Serena Williams, On the line, S. 238)
Rafael Nadal
Rafael Nadal ist der unbestrittene
Sandplatzkönig. Seine Bilanz bei den French Open ist unglaublich: 2005
erstmals angetreten, hat er das Turnier gleich gewonnen. Insgesamt hat
er die French Open 9-mal für sich entschieden, nur 2009 musste er eine Niederlage
einstecken, als er im Achtelfinale dem Schweden Robin Söderling
unterlag. Doch nach Verletzungsproblemen in der zweiten Jahreshälfte
2014, spielte Nadal im Vorfeld der French Open auf seiner
Lieblingsunterlage nicht auf seinem gewohnten Niveau. In der
Weltrangliste rutschte er auf Position 7 ab, was bedeutet, dass man auf
die Topgesetzten bereits im Viertelfinale treffen kann. Und tatsächlich:
die Auslosung ergibt, dass es im Viertelfinale zur Partie zwischen Nadal
und dem Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic kommen könnte.
Vor den French Open analysiert Chris
Evert (18-fache GS-Siegerin): "Nadal hat viel von seinem
Selbstvertrauen verloren. Man sieht das auf dem Platz und an den
Pressekonferenzen." Fügt dann aber hinzu: "Dass das Turnier zwei
Wochen dauert und er Stück für Stück Selbstvertrauen zurückgewinnen
kann, ist ein Vorteil für ihn."
Nach mehrheitlich deutlichen Erfolgen ist es am Mittwoch, 3. Juni so
weit - das von vielen als vorweggenommenes Endspiel bezeichnet, steht
auf dem Programm
Novak Djokovic vs. Rafael Nadal
Mit grosser Spannung wird die Partie
erwartet und es wird ein enges, episches Spiel prognostiziert.
Dementsprechend verläuft auch der erste Satz. Nach weit über einer
Stunde Spielzeit gewinnt Djokovic diesen letztlich mit 7:5, nachdem er
bereits mit 4:0 vorne lag. Doch danach wird es eine überraschend
einseitige Angelegenheit. Djokovic spielt weiterhin auf Top-Niveau, den
Schlägen von Nadal fehlt es indes an Power und Präzision. Der König von
Roland Garros wird von seinem Thron gestürzt. In der ganzen Partie
gelingen Nadal mit seiner gefürchteten Topspin-Vorhand nur drei
Gewinnschläge, während Djokovic Winner an Winner reiht. So chancenlos
hat man Nadal auf Sand noch nie gesehen. Sichtlich konsterniert verlässt Nadal anschliessend den Platz und ist bei der Pressekonferenz den Tränen
nahe. Nadals Kurzanalyse:
"Ich hatte nicht das Selbstbewusstsein, das ich gebraucht hätte"
Doch Nadal abzuschreiben wäre ein
grosser Fehler. Athletisch macht er einen äusserst fitten Eindruck. Für
Nadal wird es in erster Linie darum gehen seine mentale Stärke wieder zu
finden, wie es seine Worte selbst ausdrücken. Wenn das Vertrauen wieder
da ist, wird er auch wieder vorne mitmischen.
Stan Wawrinka
Dass Stan das Spiel und den Kopf hat,
um auch gegen die Topstars zu bestehen, hat er seit dem epischen
5-Satz-Krimi im Achtelfinale der Australian Open 2013 gegen Novak
Djokovic öfters gezeigt. Ein Jahr später gewann er in Melbourne sein
erstes GS-Turnier, im Davis-Cup-Finale gegen Frankreich war er der
eigentliche Matchwinner. Auch der Start in die Saison 2015 verlief sehr
positiv. Doch in den letzten Wochen und Monaten passte plötzlich nicht
mehr viel zusammen. Es schien, als ob Stan Wawrinka in alte mentale
Muster zurückfallen würde. Nach vielen frühen Niederlagen und teils sehr
dürftigen Leistungen, war in Rom zwar ein Aufwärtstrend festzustellen,
als er im Viertelfinale Rafael Nadal bezwang und im Tie-Break auf
spektakuläre Art und Weise vier Satzbälle abwehrte. Am Tag darauf im
Halbfinale gegen Roger Federer passte aber nicht viel zusammen, sang-
und klanglos ging Stan unter. Bei seinem Heimturnier in Genf,
unmittelbar vor den French Open, präsentierte er sich fast schon
erschreckend inkonstant.
Die Auslosung meinte es indes gut mit
ihm. Die Titelfavoriten Nadal und Djokovic in der anderen Hälfte. Ebenso
Andy Murray, der seit seiner Hochzeit, plötzlich auf auf Sand
erfolgreich zu spielen begann und sich in den Kreis der Mitfavoriten
spielte.
Stan Wawrinka startete gut ins
Turnier und überzeugte mit sicheren Siegen in den ersten Runden. Von
Beginn an machte er einen guten Eindruck und spielte sich eher
unauffällig bis ins Viertelfinale. Dort der erste Paukenschlag. Wawrinka
bezwang seinen Kumpel Federer deutlich in drei Sätzen und leistete sich
überhaupt keine Schwächephase. Ruhig und fokussiert sein Auftreten, ein
ganz anderer Wawrinka war da am Werk, als noch bei den Turnieren zuvor.
Nach einem engen Halbfinalsieg über die letzte französische Hoffnung, Jo-Wilfried Tsonga, erreicht Wawrinka sein zweites Endspiel bei einem
GS-Turnier. Gegen Novak Djokovic gilt er jedoch als klarer Aussenseiter...
Aus den letzten Partien zwischen den
beiden weiss Stan jedoch um seine Chance. Er hat die Schläge, um
Djokovic in die Defensive zu drängen und an der Pressekonferenz vor dem
Endspiel sagt er etwas hoch interessantes: Er wisse, dass Djokovic nicht
gerne gegen in ihn spiele.
Und tatsächlich, was die wenigsten
erwarten, tritt ein. Wawrinka verliert zwar den ersten Satz, doch von
allem Anfang an ist er der Spieler, der die meisten Ballwechsel
diktiert. Abgesehen von einem schwachen Aufschlagsspiel im ersten Satz,
überzeugt er insbesondere durch seine Konstanz und leistet sich so gut
wie keine längeren Schwächephasen. Djokovic ist sichtlich beeindruckt.
Er wirkt zusehends ratlos, stellt sein Spiel um, indem er häufiger
Stoppbälle einsetzt und gegen Ende der Partie auch immer öfters ans Netz
vorrückt (gar Serve & Volley bei zweitem Aufschlag, etwas was man von
Novak Djokovic überhaupt nicht kennt). Doch auch diese Massnahmen
bringen nicht den gewünschten Erfolg, sondern sind eher Zeichen der
Verunsicherung. Stan Wawrinka auf der anderen Seite ist nicht mehr
aufzuhalten, gewinnt sensationell die French Open und schreibt das
nächste Kapitel in der Schweizer Tennis-Erfolgsgeschichte - incroyable!!!
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